Kinderwunsch
Seine Wimpern sind lang, auffällig lang. Länger als deine. Aber das sieht man nur, wenn er die Augen geschlossen hat. Tagsüber ist er immer wach. Entspannen, träumen kann er nur bei dir. Das sagt er ab und an, meistens in dein Ohr. Soweit kannst
du ihn verstehn.
Seit über einem Jahr besucht er dich, aber du weißt sonst nicht sehr viel. Dass sein Drei-Tage-Bart drei Wochen wachsen muss und dass selbst dann ein kleiner Flecken Haut unter seinem Kinn noch blank ist. Du weißt, dass das an ihm kratzt. Dich kratzt es nicht, natürlich. Seine Fingernägel wachsen schnell, aber du bekommst sie nie zu spüren.
Wie viel Geld er genau hat, weißt du nicht.
Zeit hat er kaum.
Wenn er sie hat, gibt er sie beide bei dir aus.
Jedes Mal bringt er eine neue Sorte Tee mit.
Seit zehn Jahren ist er verheiratet. Der Ehering an seiner Hand, halb unter dem Kissen und seinem schlaffen Gesicht verkrochen, blitzt, als wäre er frisch angesteckt. Ihm kommen die Jahre verdreifacht vor. Er liebt seine Frau nicht. Sie kommen aus.
Gähnend streckt er sich neben dir und zieht unwillig die Stirn in Falten, kämpft gegen das Aufwachen. Er träumt gern, doch am Tag muss er wach sein. Immer wachsam sein.
Hier in deinem Bett kommt er zur Ruhe, wo andere erst aufdrehen. Er liegt hier stundenlang und trinkt Tee mit dir.
Manchmal ist dein Körper noch heiß von davor und oft ist auch er noch ganz rot,
überall. Zusammen schaltet ihr ab. Selten raucht ihr und das reden wird ohnehin immer weniger. Die erste halbe Stunde seid ihr stets ganz still und immer öfter, so wie heute, schläft er einige Momente ein und erlaubt sich, zu träumen.
Du kennst ihn anders als alle anderen. Du findest, dass er ein sonniges Gemüt hat, die meisten denken bei seinem Anblick an sieben Tage Regenwetter, benehmen sich aber notgedrungen so, als wären sie ganz ausgedorrt. Er merkt allen an, dass sie nur spielen und nicht mehr wollen als das.
Wenn du sagst, dass es draußen kalt ist, sagt er, dass es wärmer wird.
„Wirklich“, seufzt er dann, „die im Radio haben's gesagt.“
Er glaubt an den Wetterbericht oder er glaubt, dass du daran glaubst.
Er steht auf und wankt lässig zum kleinen Waschbecken, was dort neben der Tür in die Wand eingelassen ist. Mit kaltnassen Fingern fährt er sich hinter den Ohren entlang. Sein weißes Fell bleibt trocken. Du fragst dich, ob er dünn war, als junger Mann.
Er hat immer hart gearbeitet.
Beiläufig poliert er die immerschmutzige Armatur mit seinem Handballen. Sie glänzt artig danach. Kurz beginnt er sogar, leise zu pfeifen, räuspert sich aber bald.
Dir wird kälter, weil du weißt, was jetzt kommt. Dir ist danach, ihm Bescheid zu sagen. Dass du alles weißt. Dass sein Vermögen ausreichen wird, um den ganzen Rest deines Lebens zu einer Traumreise zu machen.
Das Rascheln, als er sein Sakko überstreift, ist viel zu laut. Es tut dir in den Ohren weh.
Unter der Decke schließt du deine lächerlichen Finger so fest um den Griff, dass du die Knöchel deiner Hand weiß werden spürst.
Er kommt zurück und lächelt wie der Mond. Er setzt sich nochmal an dein Bett, als wollte er eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen. In seiner Hand hat er die Scheine zu einer froschfarbenen Schnecke zusammen gerollt. Die Übergabe verläuft schweigend. Dagegen wehrst du dich schon lange nicht mehr. Er legt alles auf den Nachttisch.
Du kannst seine Brust sehen.
Jetzt.
Dein Körper verspannt sich.
Er kommt dir plötzlich wieder näher. Beugt sich hinab, berührt dich beinahe. Du fasst es kaum, bist entsetzt und erschrocken und enttäuscht und willst wütend werden.
Er küsst dich auf die Wange, gütig, vertraut, dankbar - und geht.
Du schwitzt noch, die Nässe liegt unangenehm kühl auf deiner Haut.
Die Hand ist wie tot.
Du denkst an deinen Vater.
Der war Koch.
Das Schleifen der Messer war das Geräusch, das dich aufweckte.
Deine ganze kurze Kindheit lang.
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